Als Kind 4 Jahre vom Stiefvater missbraucht, die Mutter wusste es und half mir nicht

Von 10 – 14 missbrauchte er mich. Meine Mutter hat vieles mitbekommen, ich gab ihr auch oft Hinweise, aber sie tat nichts – aus Abhängigkeit

Jahrelanger Missbrauch durch den Stiefvater, meine Mutter hat mir nicht geholfen

Hallo Beatrice,
ich wurde als Kind 4 Jahre lang von meinem Stiefvater missbraucht; er ist morgens in mein Bett gekommen oder saß nachts an meinem Bett und hat alles Mögliche gemacht, ich war damals 10, als es losging. Meine Mutter hat das immer mitbekommen, dass er in mein Bett geht. Als ich älter wurde, habe ich immer deutlich gesagt, dass er gehen soll, und zu meiner Mutter geschrien, sie soll sagen, er soll weg gehen!!
Sie hat aber nie was gemacht… ich denke, weil sie es nicht geblickt hat, was da abgeht, weil sie einfach zu blöd ist! Ich meine, jede normale Frau mit gesundem Menschenverstand muss sich doch dabei was denken, wenn der eigene Mann in das Bett der Tochter geht! Aber sie ist halt sehr unsicher und abhängig von ihm. Ich habe ihr auch nicht gesagt, was genau er mit mir macht, weil er das alles so spielerisch gestaltet hat, und ehrlich gesagt weiß ich nicht, wieso ich nichts gesagt habe.
Eines Tages kam es dann zu einem Showdown und ich habe ihr beschrieben, was passiert ist; wir sind dann abgehauen, waren im Frauenhaus etc., ich habe eine Unterkunft bei einer Bekannten bekommen und konnte dort auch bleiben. Meine Mutter ist aber schon nach kurzer Zeit, ca. 3 Wochen, zu meinem Stiefvater zurückgegangen. Sie denkt, es war der eine “Ausrutscher”, und er wüsste selber nicht, wie er sowas machen konnte!! Sie hat es absolut verdrängt, dass ich Ihr erzählt habe, was all die Jahre war!! Ich habe mich sehr einsam bei der Bekannten gefühlt und hatte Heimweh. Irgendwann bin ich wieder nach Hause zurückgegangen; ich war damals 14 und wusste nicht wohin und was ich im Endeffekt machen soll.
Meine Mutter ist nach nur 1 Monat von ihm schwanger geworden! Die weiteren Jahre waren für mich schlecht, ich habe mit Ihm in einer Wohnung gewohnt und mich immer unwohl gefühlt, wenn er daheim war. Ich hasse Ihn!
Die Jahre vergingen mit viel Streit, oft Abhauen von zuhause… Als ich 19 war, hat er mich von zuhause rausgeschmissen, weil er erfahren hat, dass ich einen Freund habe, und das hat Ihm garnicht gepasst!
Naja, jetzt bin ich 26, habe 2 kleine Geschwister, die ich liebe, und eine Mutter, von der ich eigentlich nichts halte, aber ich komme mit Ihr aus, wobei ich merke, Sie braucht mich und liebt mich auch, aber ist eine sehr unsichere und schwache Frau.
Die ganze Vergangenheit kommt mir manchmal hoch, ich habe Wutgefühle und deswegen bin ich so eingeschränkt in meiner Entwicklung, kann nicht aus mir rauskommen, bin immer sehr ruhig. Ich hasse es, wie ich bin, ich wäre gern anders, fröhlich und ein offener Mensch.
Meine Frage ist aber: wie soll ich mich verhalten? Am liebsten würde ich den Kontakt zu denen abbrechen, zu meinem Stiefvater sowieso, den würde ich am liebsten nie wieder sehen müssen! Aber ich möchte meine Geschwister sehen, ich möchte auch meine Mutter weiterhin sehen. Wenn ich mit meiner Mutter nochmals über alles reden würde und Ihr sagen, ich möchte nicht mehr zu euch kommen, würde sie es nicht verstehen und nicht verkraften! Ich bin meiner Mutter gegenüber manchmal sehr kalt, aggressiv und gebe Ihr zu verstehen, dass Sie mir egal ist; dann fragt Sie mich sehr traurig, wieso ich so zu Ihr bin, was hat Sie mir angetan? Anstatt das Sie selber mal überlegt, was sein könnte! Oh mann ich bin so voller Wut.

Ich werde mich sehr freuen von Ihnen zu hören
Anonyme (26)

Liebe Anonyme,
darf ich „du“ sagen? Dann ist es sprachlich verständlicher und gibt nicht so ein Durcheinander von „Sie“ und „sie“.
Ich kann gut verstehen, warum du voller Wut bist. Es schmerzt mich sehr, deine ganze Geschichte zu lesen, es treibt mir die Tränen in die Augen, und wütend macht es mich auch! Ich bin nicht nur wütend auf deinen Stiefvater, diesen Drecksack, dieses skrupellose Schwein, sondern auch auf deine Mutter. Tatsache ist: Sie ist Mittäterin. Sie trägt ebenso viel Schuld wie dein Stiefvater, denn die Aufgabe einer Mutter ist, ihr Kind zu beschützen, und diese Aufgabe sollte einer anständigen Mutter viel wichtiger sein, als ihre jämmerliche Beziehung mit einem elenden Kinderschänder zu bewahren.
Du schreibst: „Ich denke, sie hat nie was gemacht, weil sie es nicht geblickt hat, was da abgeht, weil sie einfach zu blöd ist! Ich meine, jede normale Frau mit gesundem Menschenverstand muss sich doch dabei was denken, wenn der eigene Mann in das Bett der Tochter geht!“
Ja, genau so ist es. Und ich bin mir sicher, dass sie es durchaus „geblickt“ hat. Sie wusste genau, dass er mit dir Sachen anstellt, die nicht sein dürfen, und deine zweite Begründung, „sie ist sehr unsicher und abhängig von ihm“, trifft es eher. Aus einer jämmerlichen Abhängigkeit und Bequemlichkeit heraus hat sie es geduldet, dass ihrem Kind jahrelang Unrecht getan wurde, nur damit sie an ihrer Lebenssituation nichts ändern muss und damit ihr verlogenes Weltbild erhalten bleibt.
Ich finde nicht, dass ihre Unsicherheit und Abhängigkeit eine Entschuldigung dafür ist, dass sie zuließ, dass ihrer Tochter, einem unschuldigen Kind, jahrelang so etwas Schreckliches angetan wird – das ist unentschuldbar. Du bist mit absolut gutem Grund wütend und es ist dein Recht, sie zur Rechenschaft zu ziehen. Vermutlich wird sie es weiterhin leugnen und beschönigen, aber zur Rechenschaft ziehen musst du sie trotzdem – und ihr sehr genau schildern, was dieses Schwein jahrelang mit dir gemacht hat und was es bei dir ausgelöst hat. Denn fast kein Pädophiler kann seinen perversen Drang einfach abstellen, ich verstehe ums Verrecken nicht, wieso sie bei ihm bleibt und sich auch noch zwei Kinder von ihm machen lässt, die irgendwann Gefahr laufen werden, dass er sie genauso missbraucht wie dich. Es kann sogar sein, dass er inzwischen irgendwelche anderen minderjährigen Opfer gefunden hat, die er missbraucht (hat).
Das heißt: Dieser Mann muss auch zur Rechenschaft gezogen werden. Ich weiß nicht genau, ob du ihn jetzt noch anzeigen kannst, aber ich denke, um andere Kinder zu schützen, solltest du es versuchen. Bitte sprich darüber erst mal mit zwei, drei Missbrauchsberatungsstellen – davon gibt es ja viele in Deutschland. Diese Stellen können dich auch beraten, was du tun kannst in Sachen Therapie. Denn du brauchst eine Therapie, um diese Dinge zu überwinden; du hast ja nicht nur einen sexuellen Missbrauch erlitten, also großen Schaden an deinem körperlichen und sexuellen Empfinden genommen, sondern was vielleicht fast noch schlimmer ist: dein Vertrauen in Menschen und in enge Beziehungen wurde komplett zerstört. Wer könnte noch vertrauen, nachdem ihm von den BEIDEN wichtigsten Bezugspersonen so etwas angetan wurde?
Ich rate dir also folgendes:
1) Nimm Kontakt zu Missbrauchsberatungsstellen auf.
Suchen kannst du auch im Internet, indem du auf
https://www.dajeb.de/suchmask.php
gehst, und auf der Seite, die dann erscheint, gibst du die ersten zwei Ziffern deiner Postleitzahl ein und gehst auf “Suche starten”. Dann sollten etliche Adressen erscheinen und du kannst schauen, an welche Stellen dich hinwenden könntest.
Ferner kannst du die Telefonberatung nutzen bei https://www.lara-berlin.de
Sie beraten auch Frauen außerhalb Berlins, kostenlos und anonym.

2) Lies das Buch „Vergiftete Kindheit“ von Susan Forward. Darin erfährst du u.a. alles
– über die Mittäterschaft schweigender Elternteile
– darüber, warum es so wichtig ist, alle Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen, und wie man das am besten macht
– warum ein missbrauchtes Kind sich oft zu wenig zur Wehr setzt und/oder nichts sagt
– wie du am besten entscheidest, ob du noch Kontakt zu deiner Mutter halten solltest und in welcher Form.

Noch etwas. Viele Missbrauchsopfer tragen in sich einen Widerstand, die Täter zur Rechenschaft zu ziehen, weil sie sich (bewusst oder unbewusst) mitschuldig fühlen. Darauf könnte bei dir auch folgendes hindeuten:
„Ich habe meiner Mutter auch nichts gesagt, weil er das alles so spielerisch gestaltet hat und ehrlich gesagt, weiss ich nicht, wieso ich nichts gesagt habe.“
Du trägst NULL Schuld, du warst ein Kind, du warst Opfer, Punkt.
Erstens, ein Kind braucht nicht unbedingt was zu sagen – wenn es so offensichtlich ist wie bei euch, dann merkt die Mutter es auch, ohne dass das Kind was sagt. Zweitens, du hast ja was gesagt! Du hast zu deiner Mutter „geschrien, sie soll sagen, er soll weg gehen!!“
Mein Gott, und da hat sie immer noch nichts gemacht. Ich finde das so erschütternd.
Drittens, sehr viele Kinder in so einer Situation trauen sich nicht zu einer Aussprache, weil sie befürchten, dass sie damit die Familie und das Leben der Mutter zerstören. Denn immerhin sind sie ja von der Familie und von der Mutter abhängig. Sie haben auch Angst, dann von der Mutter nicht mehr gemocht zu werden. Du darfst nie vergessen, dass ein Erwachsener (wie deine Mutter) zwar nicht abhängig sein sollte, sondern in der Lage sein sollte, sein eigenes Leben in die Hand zu nehmen – aber ein Kind ist eben abhängig, und zwar in allem!

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Ich wünsche dir alles Gute
Beatrice Poschenrieder

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