War es ein Missbrauch, obwohl ich freiwillig mitgemacht habe?

Hallo Beatrice!
Also ich wurde vor zweieinhalb Jahren von meinen Ex-Freund sexuell missbraucht! Hab es aber freiwillig getan. Ich meine es so: er hat mich nicht körperlich dazu gedrängt, sondern ich hatte Angst und wollte es nicht, aber hab ihm nichts gesagt. Wir hatten Sex und es war ein Scheiß Erlebnis.
Seitdem hatte ich keinen Freund mehr. Ein paarmal so knutschen oder so, aber mehr nicht. Ich habe Angst vor Männern und habe Angst niemanden mehr zu finden! Hilf mir bitte!!
Lona (20)

Ich ließ es über mich ergehen und fühle mich benutzt und schmutzig
Der Sex war für mich richtig Scheiße und jetzt fühle ich mich missbraucht!

Liebe Lona,
ich hätte noch ein paar Rückfragen:
1) Hast du deinem Ex signalisiert oder vorher gesagt, dass du keinen Sex willst? Wenn nein, warum nicht?
2) Hast du dich mit der Sache schon mal an jemand anders gewandt? Wenn ja, an wen und was war dann?
3) Inwiefern war es ein „Scheiß Erlebnis“? Hat er dich gezwungen, bedroht oder dir Gewalt angetan? Bitte ausführlich antworten.
4) Hattest du nur einmal Sex mit deinem Ex?
5) Hast du nur wegen Sex Angst vor Männern? oder noch aus anderen Gründen?
Bis dann, Beatrice

Hallo Beatrice!
1) Nein, das habe ich nicht gemacht, denn ich hatte Angst davor, er würde es nicht verstehen und mich verlassen. Was er dann eh gemacht hat!
2) Ja, an eine Freundin. Sie verstand aber nicht, warum das für mich so schlimm war.
3) Nein, er hat mich nicht gezwungen, bedroht oder mir Gewalt angetan. Er hat halt angefangen und ich hab es über mich ergehen lassen. Ich hab mich nicht gewehrt und ich bereue es so!! Ich kam mir richtig dreckig vor, ausgenutzt und widerlich.
4) Einmal.
5) Ich weiß nicht, ich habe halt Angst, dass ich dann versage, weil ich ja auch noch nicht besonders viel Erfahrung für eine 20jährige habe. Flirten usw. macht mir garnichts aus, aber sobald es ernster wird, blockier ich und schau, dass ich ganz schnell weg komm.
Danke für die schnelle Antwort. Es ist wirklich wichtig für mich.
Lona

Liebe Lona,
ein Missbrauch wäre es dann, wenn du noch ein Kind gewesen wärst (und er ein Erwachsener); oder wenn du mit Gewalt oder unter deutlicher Androhung von Gewalt gezwungen worden wärest; oder wenn er ein bestimmtes Abhängigkeitsverhältnis (etwa Lehrer – Schülerin oder Vorgesetzter – Arbeitnehmerin) ausgenutzt hätte unter der Androhung, dass du krasse Nachteile zu befürchten hättest, wenn du dich sexuell verweigerst.
Dies alles war bei dir nicht der Fall – im Gegenteil: Wie du selbst sagst, du hast freiwillig mitgemacht. Der Missbrauch fand / findet eher in deinem Kopf statt: Anscheinend ist Sex für dich etwas, was du über dich ergehen lassen musst, um den Freund zu halten.
Ich will dir damit sagen, dass die Art, wie du den ersten Sex erlebt hast, auch einiges mit deiner inneren Einstellung zu tun hat. Siehst du, für mindestens die Hälfte der Mädchen ist das Erste Mal kein schönes Erlebnis; sie haben Angst, und es tut weh, und da ist noch kein Spaß am Sex, obendrein tun es viele tatsächlich, weil der Freund sie bedrängt und sie ihn nicht verlieren wollen. Aber deswegen laufen sie nicht traumatisiert durch die Gegend und reden von Missbrauch oder haben nie mehr Sex; sie verbuchen es als einmalige Erfahrung, als etwas, das man halt einfach erlebt, und sind offen für das was kommt – und sicherlich besser ist!

Im Laufe unseres Lebens erleben wir vieles, was uns kränkt, nicht gefällt, abstößt – aber so ist eben das Leben! Es besteht aus einer Summe von Erfahrungen, und da sind natürlich auch ungute dabei. Du hast einen freien Willen und freies Denken – du kannst ein negatives Erlebnis verbuchen unter „blöde Erfahrung, die ich in Zukunft versuchen werde zu vermeiden“. Aber deswegen jedes Zustandekommen von Erfahrung von vornherein abzublocken, ist ja auch falsch. Das wäre, wie wenn du aufhörst zu essen, nur weil einmal etwas ganz grauenhaft geschmeckt hat oder dir Übelkeit mit Erbrechen beschert hat. Nein, du wirst in Zukunft diese eine Speise vermeiden, aber andere neue Speisen durchaus probieren und vieles davon genießen. Und so ist es auch mit dem Sex und den Männern: Du kannst nicht alle und alles über einen Kamm scheren! Der eine ist gut für uns, der andere nicht. Mit dem einen hat man guten Sex, mit dem anderen weniger. Du hast einen Kopf zum Denken und einen Mund zum Reden, und es steht dir jederzeit frei zu sagen: „Bis hierhin und nicht weiter!“

Wer hat dir so eine negative Einstellung zum Sex mit auf den Weg gegeben? In deinem Innern ist Sex ja nicht nur etwas Widerliches, sondern auch noch etwas, worin man Leistung zeigen muss (“Angst, dass ich dann versage”). Sexualität gehört zu unserem Leben dazu, und sie ist normalerweise etwas Schönes. Mit jedem Mann ist sie neu und aufregend, und wie es wird, liegt sehr in deiner Hand. Kein Mann erwartet von dir sexuelle Erfahrung oder Leistung – sondern Offenheit, Zärtlichkeit, Neugier, Freude an körperlicher Intimität und Zuneigung zu deinem Partner. Das ist alles, was du mitbringen musst, damit es für ihn schön wird.
Bitte lies dazu auch in meiner Sex-Beratung folgende Artikel:
Kann mir nicht vorstellen, mit Mädchen zu schlafen – Sex ist was Schmutziges!

Wie kann sie beim Sex ihren Perfektionsdrang abstellen?

Über Sex reden: Wie soll ich meine sexuellen Bedürfnisse ausdrücken?

Wie kann ich zärtlich sein?

Ferner möchte ich dir ein gutes Buch dazu empfehlen, wo alles drinsteht, was man in den Anfängen so über Sex wissen kann: Make Love: Ein Aufklärungsbuch (siehe auch Werbung ganz oben).

Liebe Grüße
Beatrice Poschenrieder

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