Hallo liebe Beatrice,
ich (17) hatte dir schon einmal geschrieben. Es ging darum, dass ich schwanger bin, u. a. Borderline habe, aber stabil bin, zudem aus der Türkei stamme und meine Mutter mich sehr unter Druck setzt das Kind abzutreiben… vielleicht erinnerst du dich noch daran??? Du hattest mir den Rat gegeben, mich an eine Beratungsstelle zu wenden (Pro Familia). Das war sehr gut.
Nun, bin jetzt in der 27. Schwangerschaftswoche und sehr froh, mein Baby behalten zu haben.
Meine Familie freut sich inzwischen sogar sehr auf das Kind und steht voll und ganz hinter mir.
Anfangs gab es paar Schwierigkeiten; als meine Mutter noch gegen das Baby war, hatte mir die Familie meines Freundes “angeboten”, dass ich meinen Freund heirate, sodass ich bei ihnen wohnen kann, und somit alles zu regeln…
Ich sah keine andere Auswegsmöglichkeit… wollte nicht in ein Mutterkindheim und beschloss meinen Freund zu heiraten. Mein Vater konnte damit leben, war sogar zufrieden, nur meine Mutter war immer noch nicht gut auf mich zu sprechen, was sich aber auch mit der Zeit legte.
Nur, ich habe mich in der Beziehung so gefangen und nicht mehr ernst genommen gefühlt (er wollte eigentlich auch keine Eheschließung, wollte mich aber auch nicht im Stich lassen). Ständig nur Streit… wie sollte da eine Ehe funktionieren, abgesehen davon, dass ich erst in sechs Monaten 18 werde und somit zu jung bin…
Ich sagte die Hochzeit ab und meine Mutter sagte sogar, dass es ok ist – dass wir das auch noch schaffen werden. Mein Papa war der gleichen Ansicht…
Doch dann meldete sich mein Freund gar nicht mehr bei mir, ich war ihm auf einmal egal. sogar als ich eine leichte Blutung bekam und seine moralische Unterstützung brauchte, wollte er nicht kommen… Ich bekam ständig zu hören, dass ich ihn vor seiner ganzen Familie bloßgestellt hätte und all die Kosten umsonst waren (Hochzeitskleid war schon gekauft, Einladungen gedruckt, der Saal gemietet etc.). Ich hielt es nicht ohne ihn aus und war viel zu impulsiv und stimmte erneut einer Heirat zu, aus Angst ihn zu verlieren. Doch es kam wie es kommen musste, ich habe wieder einen Rückzieher gemacht….
Wieder Funkstille, irgendwann konnten wir wieder aufeinander zugehen…
Das Ganze liegt jetzt ungefähr 3 Monate zurück.
Doch er ist wie ausgewechselt! Früher war er sehr verständnisvoll, einfühlsam, geduldig, hat mich auf Händen getragen. Inzwischen ist er sehr ungeduldig, wird sehr schnell aggressiv und verletzend. Selten kann man mit ihm vernünftig reden. Häufig kommt dann ein: “Ohh, ja, ist ok jetzt.” Ich hab das Gefühl, dass ich gegen eine Wand spreche!!
Wenn ich etwas nicht ok finde und das ihm sagen möchte, ist er sofort genervt und tut so, als wär nichts gewesen. Ich bin davon ausgegangen, dass er mit allem sehr überfordert ist, da ich zeitweise daran gezweifelt habe, dass es richtig ist, ihn zu heiraten etc.. Dass ich seine ganze Person in Frage gestellt habe.
Erst wurde ich schwanger, dann hab ich zu viel von ihm erwartet (dass er ganz schnell erwachsen wird und Verantwortung übernimmt), dann die negative Reaktion seiner Verwandten/Familie…(war für ihn ne Blamage… sein Stolz wurde verletzt). Da dachte ich mir: ok, es war zu viel, lass ihm die Zeit , die er braucht.
Schließlich war er auch die ganzen über zwei Jahre, die wir zusammen sind, für mich da, ist mit mir durch dick und dünn gegangen, musste wegen mir einiges durchmachen… Doch ich ertrage es nicht mehr, die Teilzeitfreundin zu sein…. Er meinte, er ist nicht in der Lage, mir seine Gefühle zu zeigen, weil das ihn irgendwie alles so sehr einengt, doch ich soll nicht vergessen, dass er mich liebt und dass es auf jeden Fall besser wird in nächster Zeit…
Ich seh ihn kaum, früher wäre ich wohl mit irgendwelchen Drohungen gekommen, hätte ihn erpresst, mich geschnitten usw.. Ich streng mich wirklich sehr an, um stabil zu bleiben! Jetzt, wo ich so eine große Verantwortung unter meinem Herzen trage!!
Er wohnt 60 km weit weg von mir, arbeitet tagsüber, doch abends ist er mit seinen Freunden unterwegs, die wahrlich sehr wenig von mir halten… bin ja die Psychotante…
Er mag mich nicht sehen… ruft mich aber jeden Abend an, fragt, wie es mir und dem Baby geht. Hat mich auch zu den Amtsgängen bis jetzt begleitet, und wenn wir uns treffen, dann küssen wir uns. Ab und zu sagt er auch liebe Sachen, und einmal sind wir sogar wieder im Bett gelandet (ich wollte ihm eigentlich nur wieder ganz nah sein und seine Liebe spüren… dem war aber nicht so, es war nur Sex).
Sobald er weg ist, fühle ich mich wieder einsam und verlassen… es ist eine Achterbahn der Gefühle.
Es vergeht fast kein Tag, an dem ich nicht weine, an dem ich mir nicht sage, geh nicht ans Telefon, ignoriere es einfach, doch letztendlich scheitere ich.
Ich nehme Rücksicht auf seine Bedürfnisse, löchere ihn nicht mit irgendwelchen Gefühlsfragen, frag ihn nicht, ob und wann er wieder Zeit hat, versuche nicht lästig zu sein, doch manchmal fangen die Tränen einfach an zu fließen. In solchen Situationen meint er, dass ich einfach zu viel erwarte… Aber ich hab doch auch meine Bedürfnisse! Ich versuche alles hinter einer Maske zu verstecken, habe aber keine Kraft mehr.
Es gibt einfach kein Vorankommen mehr. Keine Besserung.
Ich bin selber durcheinander… ich weiß nicht mal mehr, was ich von ihm verlangen kann und was selbstverständlich ist.
Er ist wie Alkohol, kurzfristig tut er mir gut, doch langfristig macht er/ diese Situation mich fertig, und dennoch will ich nicht loslassen, ich will es später nicht bereuen müssen… und falls ich doch loslassen soll? Wie?
Ich hoffe du hast für mich einen guten Rat, liebe Beatrice.
Namenlose (17)
Liebe Namenlose,
du weinst jeden Tag wegen ihm, du grübelst, du machst dich fertig, du bist deprimiert – du sagst ganz richtig: “Er ist wie Alkohol, kurzfristig tut er mir gut, doch langfristig macht er/ diese Situation mich fertig.”
Und dir ist auch ganz klar, dass du jetzt “so eine große Verantwortung unter dem Herzen” trägst.
Genauso wie es dem Baby schadet, wenn die Mutter Alkohol trinkt, schadet es ihm, wenn es dir dauernd seelisch schlecht geht. Und es schadet deinem Verhältnis zu dem Kind.
Es stimmt vollkommen, dass du loslassen musst. Du hast Angst, es später zu bereuen – also dass du dann ohne Freund dastehst und dein Kind ohne Vater.
Nun: Dem Baby (und dir selbst) zu Liebe kannst du beschließen, ihn nur für einen gewissen Zeitraum loszulassen, nämlich bis das Kleine da ist.
In der Zwischenzeit kann er noch seine Freiheit genießen und sich seelisch ganz langsam darauf vorbereiten, dass er Vater wird.
Du hast intuitiv richtig gehandelt, ihn noch nicht zu heiraten. Er ist zwar verletzt, dass du die Hochzeiten abgesagt hast, und begründet damit wahrscheinlich sein jetziges Verhalten, aber ich denke, der Kern der Sache ist der, dass er genau davor große Angst hat: Vater zu werden, keine Freiheit mehr zu haben, sondern nur viel Verantwortung und Verpflichtungen. Und er ist eben noch nicht so weit.
Du hast zwar seelische Probleme, aber du bist auch ein sehr kluges Mädchen. So klug, dass du es verstehen kannst, dass du ihm Zeit geben musst, bis er so weit ist. Dann wird er von selbst und ganz freiwillig wieder auf dich zukommen.
Und du bist ja nicht allein! Du hast deine und seine Familie, die dich unterstützen, und wenn du dich jetzt darauf konzentrierst, dich auf dein Baby und die Geburt vorzubereiten, wirst du auch vielen anderen werdenden Müttern begegnen. Freunde dich mit einigen an – das kann auch nach der Geburt eine gute Sache sein.
Ferner rate ich dir sehr, nochmal zu Pro Familia zu gehen und dir eine regelmäßige psychologische Beratung geben zu lassen, die dir hilft, deinen Freund besser loslassen zu können und seelisch wieder positiver zu werden.
Liebe Grüße und alles Gute
Beatrice Poschenrieder