Habe 10 Jahre Ehe mit Gewalt hinter mir, doch der Neue missbrauchte mich schon wieder

Mein Exmann hat mich misshandelt, belogen und zum Sex genötigt. Hab mich mühsam befreit, eine neue Liebe gefunden – und wieder Gewalt!

Habe in meiner Ehe Gewalt, Misshandlungen und Missbrauch erlebt und jetzt schon wieder
Selbst im Bett schreckte mein Ex nicht vor Gewalt zurück…!

Hallo Beatrice,
ich konnte mich bisher niemandem anvertrauen, gut, dass es bei dir anonym geht. Ich habe eine 10jährige Ehe hinter mir, aus der eine wundervolle Tochter hervorging (9 Jahre). Die ersten Jahre waren schön… aber das änderte sich dann doch recht schnell. Angst, Lügen, Misshandlungen gehörten schnell zur Tagesordnung. Ich hatte nicht die Kraft mich zu trennen, doch letztes Jahr im April ist es dann eskaliert – ich habe den Absprung geschafft und habe mich befreit.
Befinde mich jetzt im Trennungsjahr. Die Scheidung ist im April. Ich leide bis heute unter meiner Ehe und musste eine Therapie anfangen, um so einiges zu verarbeiten und vor allem, um mich selbst wiederzufinden. Es war eine harte Zeit: Depressionen, Angstzustände, Medikamente, enorme Gewichtszunahme… es war ein Teufelskreis, ein Strudel. Aber ich habe es geschafft, ich komme langsam wieder zurück ins Leben (vor allem wegen meiner Tochter).
Ich dachte immer, ich werde nie wieder eine Beziehung haben können… und irgendwie wollte ich auch nicht! Dann haben mir ein paar Freunde geraten, ich solle mich doch mal im Internet umschauen und wenn es nur ist, um mehr Selbstvertrauen aufzubauen. Ich habe lange überlegt und mich dann in einer Singlebörse angemeldet. Dort habe ich jemanden kennengelernt. Wir haben uns getroffen und sind jetzt seit ca. 3 Wochen fest zusammen. Er ist wirklich ein sehr einfühlsamer Mann, er küsst mich zärtlich, umarmt mich und nutzt jede Gelegenheit, mir irgendwie eine Freude zu machen und mir zu sagen, dass er sich wirklich in mich verliebt hat. Er hat schon so viel bewirkt (positiv).
Es hat auch nicht lange gedauert und wir haben miteinander geschlafen. Die ersten zweimal waren ganz schön. Mit meinem Ex hatte ich Sex, damit er befriedigt ist, mich in Ruhe lässt und nicht seine Aggressionen wiedermal an mir auslässt. Tu es und er lässt dich in Ruhe! Sex? Das war eine Bestrafung für mich!
Ich dachte, ich könnte nie mehr mit jemanden schlafen. Aber dann kam er und es war schön, bis… nach dem 3. – 4. Mal wurde er etwas grober. Ich dachte mir erst, er mag es einfach etwas „heftiger“, habe es geschehen lassen und konnte es eigentlich auch genießen, wobei ich bis jetzt nicht einen Orgasmus hatte. Doch beim letzten Mal ist er zu weit gegangen… er meint, er wollte es nicht, es sei ein „Versehen“ gewesen! Ich habe ja kaum sexuelle Erfahrung – mit meinem Ex war das immer das Gleiche. Dann kam mein Neuer und zeigte mir, was man alles so machen kann und was uns beiden auch Spaß machte.
Ja also beim letzten Mal wollte er wieder was ausprobieren, Sex von hinten… Es war ungewohnt, aber in Ordnung, bis er plötzlich in mich eindrang: Anal! Ich hatte solche Schmerzen… kann es nicht beschreiben!!
Ich habe ihn weggeschubst und war völlig geschockt, durcheinander und verzweifelt. Mir liefen die Tränen einfach so übers Gesicht. Ich hatte plötzlich so einen Hass auf ihn, ich wünschte, er hätte sich einfach so in Luft aufgelöst! Ich war den ganzen Abend einfach nur durcheinander, es kamen viele alte Gefühle hoch… Konnte mich nachher nur noch wieder mit meinen Tabletten beruhigen.
Er hat sich entschuldigt, aber ich meine, er wusste doch, dass ich noch nicht so weit war – WARUM musste er so weit gehen? Die Nacht war einfach nur schlimm für mich. Ich weiß nicht, ob ich ihn nochmal sehen will. Ich empfinde so viel für ihn, weil er mir das Gefühl gibt, er liebt mich wirklich… aber beim Sex habe ich das Gefühl, das ist nicht mehr er!
Ich will nicht schon wieder so verletzt werden… ich kann das alles nicht nochmal durchmachen. Ich schaff das psychisch nicht mehr! Ich habe ihn heute zum Bahnhof gefahren und kann mich nicht entscheiden, ob es mir leid tut, dass er geht, oder ob ich froh bin und ihm sagen soll, dass ich ihn nie mehr sehen will. Was ist denn los mit mir? Ich liebe ihn – aber Sex?! Ich will doch einfach nur ein normales Leben führen können… Habe 10 Jahre Hölle hinter mir, warum kann ich nicht glücklich werden?
Ich hab meine Therapie „erfolgreich“ abgeschlossen, aber jetzt ich habe das Gefühl, der Strudel kommt zurück und holt mich! Was soll ich tun? Hat er eine weitere Chance verdient und muss ich wieder an mir arbeiten? Bin ich überempfindlich? Ich habe Angst, nochmal mit ihm zu schlafen! Tue ich es nicht, wird er gehen?
Ich brauche einfach eine Meinung, sonst habe ich das Gefühl, ich werde verrückt! BITTE!
Viola

Liebe Viola,
was ich jetzt sage, ist Spekulation, ja? Aus meiner Berufserfahrung heraus.
Du fragst:
«Er wusste doch, dass ich noch nicht so weit war – WARUM musste er so weit gehen?»
Ich vermute, es war ihm nicht klar, dass du noch nicht so weit bist, zudem gab es bei euch ein Missverständnis in Sachen “Sex von hinten”. Also ich könnte mir denken: Wenn ein Mann, der ansonsten lieb und liebevoll ist, beim Sex SO weit geht, dann zum Teil auch deswegen, weil er vorher bei dir alles machen konnte und keinerlei Widerstand spürte. Dies ist oft bei Frauen der Fall, die jahrelang schlechten Sex, vielleicht sogar Misshandlungen über sich ergehen lassen/ ließen. Sie haben nie gelernt, richtig Grenzen zu setzen / zu signalisieren und dies früh genug zu tun. Sie denken, wenn sie den Mann (in welchem Punkt auch immer) abblocken, wird er böse sein (oder gar weggehen), also lassen sie alles Mögliche über sich ergehen. Das heißt, die Angst vor seiner negativen Reaktion ist noch größer als die Angst vor Schmerzen an Leib und Seele.

Ich sag dir mal, was ich hier mit „Grenzen setzen“ und „abblocken“ meine. Ein Beispiel. Wenn ich mit einem neuen Mann ins Bett gehe: Bereits schon wenn er nur meine Brust auf eine nicht so gute Art berührt oder mich auf eine doofe Art küsst, kriegt er sofort von mir ein Körpersignal: ich weiche mit dem Körper bzw. Mund zurück, nehme sanft aber deutlich seine Hände da weg oder führe seine Hände bzw seinen Kuss so, wie es sich für mich besser anfühlt. Umso mehr gilt dies für alles, was beim Verkehr stattfindet. Ich bin ganz aktiv dabei und lenke das Geschehen mit. Allein schon wenn z.B. seine Art des Stoßens (beim ganz normalen Vaginalverkehr) mir nicht so viel gibt (also mich zu wenig stimuliert), verändere ich die Lage meines Beckens, meiner Beine so, dass es besser ist, oder ich initiiere eine andere Stellung. Mein Freund merkt es sogar schon an winzigen Signalen, wie´s mir grade geht – weil ich sie setze!
Und sollte er gar aus Experimentier-Lust oder aus der Geilheit heraus etwas gemacht haben, was mir überhaupt nicht gefällt (oder gar weh tut), stoppe ich es sofort und sage ihm das sehr deutlich! Freundlich aber deutlich, und zwar sofort. Offenbar tust du das nicht oder viel zu wenig, worauf auch diese Aussage von dir hindeutet:
„nach dem 3. – 4. Mal wurde er etwas grober. Ich dachte mir erst, er mag es einfach etwas heftiger, habe es geschehen lassen…“
Liebe Viola, sowas darfst du nicht einfach geschehen lassen! Du musst die Aktion dann stoppen oder den Mann bremsen und ihm liebevoll sagen, dass du´s gern sanfter (oder was auch immer) hast. Oder du lächselst und flüsterst, „hey, hey, sachte!“
Du schriebst auch: „wobei ich bis jetzt nicht einen Orgasmus hatte“. Auch dies deutet drauf hin, dass du den Sex nicht mitsteuerst. Wenn du dem Mann nicht sagst, was du gern hast und wie du sexuell tickst, dann ist es leider recht wahrscheinlich, dass er einfach loslegt und sich nimmt, was er will!

Dazu kommt noch, dass du diesem Mann vielleicht deine Vorgeschichte erzählt hast. Leider erweckt so etwas in manchen Männern den Gedanken: ah, mit der kann ich alles machen. Das ist eigentlich schlimm, dass solche Männer das ausnutzen, aber manchmal haben sie den Eindruck, dass das der Frau gar nicht viel ausmacht. Eben weil von ihr so wenig Stopp-Signale kommen.

Du sagst, „Ich hab meine Therapie erfolgreich abgeschlossen“, aber ich fürchte, deine Therapeutin ist viel zu wenig auf das Thema „Grenzen setzen“, Selbstwahrnehmung und Sexualität eingegangen! Denn ich vermute, dass auch durch das lange Verleugnen deiner Sexualität die Selbstwahrnehmung beim Sex (evtl. auch in anderen Bereichen) zu wenig deutlich ist – das heißt, es wird dir in der akuten Situation zu wenig oder zu langsam bewusst, dass da was Ungutes abläuft.
Ich möchte dir raten, dass du nochmal eine Therapeutin aufsuchst (nicht unbedingt die vorige, sondern eine, die sich noch besser im Bereich Sexualität und Missbrauch auskennt) und mit ihr an genau diesen Punkten arbeitest. Es wäre auch gut, wenn du unseren Mailaustausch hier ausdruckst und mitnimmst. Ferner bitte ich dich, unterstützend dazu mein Buch
Sexbewusstsein: So finden Sie erotische Erfüllung
zu lesen und aktiv die Übungen und Aufgaben darin zu machen. In diesem Buch spielen die Themen „Grenzen setzen“, Selbstwahrnehmung beim Sex und sexuelle Selbstbehauptung eine sehr große Rolle.

Und noch etwas. Es ist nicht gut, jemandem schon nach ein paar Wochen dein ganzes Herz zu schenken und zu denken, „ich liebe ihn“. Du solltest dir viel mehr Zeit nehmen, dir einen Mann sehr gut anzuschauen, denn in den ersten paar Wochen kannst du noch nicht sehen, ob er „rund läuft“ und es wert ist, dass du dich völlig ihm öffnest.
Alles Liebe und Gute
Beatrice Poschenrieder

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