Hallo Beatrice!
Ich habe gerade in deinen beantworteten Briefen geschmökert, die mir schon ein wenig geholfen haben. Zu meiner / unserer Situation:
Mein Freund und ich sind nun seit knapp fünf Jahren zusammen. Er ist Landwirt und arbeitet teilweise auf dem Hof seiner Eltern mit. Als wir uns kennen lernten, arbeitete er noch in Vollzeit. Das Verhältnis zu seinen Eltern ist sehr kühl. Er sagte mir oft, dass er nie richtig Liebe von ihnen bekommen hat. Er erhoffte sich seit Jahren, dass ihm seine Eltern den Hof überschreiben und er der Hofnachfolger wird. Doch diese können relativ wenig mit seinem Schwulsein anfangen und konnten sich noch nicht dazu überwinden, den Hof zu übergeben. Sie laden mich zwar hin und wieder zu Familienfeiern ein, doch viel lieber würden sie ihre Schwiegertochter einladen.
Vor zwei Jahren fasste mein Freund dann den Entschluss, zusätzlich noch eine Stelle anzunehmen. So arbeitet er wochentags in einer anderen Stadt und am Wochenende hilft er auf dem elterlichen Hof mit, so dass wir meist unter Zeitdruck sind, wenn wir uns sehen. Dies führte in der letzten Zeit dazu, dass wir oft anderer Meinung waren.
Wir wohnen nicht wirklich zusammen. Mein Freund hat viele seiner Sachen in meiner Wohnung. Sehr gerne will ich mit ihm in dieser Wohnung zusammenleben, doch das möchte er nicht. Er kam manchmal nur zum Schlafen und zum Waschen. Oft sagte er, dass er mit mir in einer anderen Wohnung zusammenziehen möchte, doch das wollte ich bislang nicht, weil ich meine Sicherheit nicht aufgeben wollte. Am liebsten wäre es ihm, wenn wir in das elterliche Haus einziehen würden, doch da sehe ich erhebliche Probleme bezüglich seiner Eltern auf uns zukommen. Hinzu kommt, dass wir schon zweimal eine ähnliche Krise hatten und ich deshalb verstärkt Angst habe, auf der Straße sitzen zu müssen.
Vor kurzem traf er sich einmal mit einer Internetbekanntschaft. Auch ein schwuler Landwirt, von dem er auch seiner Schwester erzählte. Wie auch mir sagte er ihr, dass es auch andere Männer gibt, die ihm gefallen und mit denen er vielleicht seine Ziele verwirklichen kann. Er sagte mir, dass er mich zwar noch mag, aber keine Schmetterlinge mehr im Bauch hat. Ich würde gerne viel intensiver mit ihm über uns und unsere Gefühle sprechen, doch er tut sich dabei sehr schwer. In seiner Familie werden bei allen Mitgliedern die Gefühle meist tot geschwiegen.
Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll. Letzten Samstag kuschelten wir nachts noch zusammen. Früh morgens stand er ohne Worte auf, ging joggen und arbeitete dann am Schreibtisch. Er brachte mir eine Tasse Kaffee ans Bett und redete wieder sehr wenig. Er fuhr dann wieder zum Hof und teilte mir per SMS folgendes mit: “Ich fahre gleich zur Arbeit. Möchte von allem Abstand gewinnen. Von meinem alten Leben, von meinen Problemen. Von unseren Problemen … Es ruhig angehen.”
Was hat das zu bedeuten? Er ist manchmal sehr depressiv.
Wir hatten dann die folgende Woche kaum Kontakt. Ich habe ihm ein paar Briefe geschrieben, ihm meine Liebe mitgeteilt und ihm auch geschrieben, dass in der letzten Zeit einiges schief gelaufen sei, noch nichts verloren ist und wir das schaffen können. Wir trafen uns daraufhin in einem Café und sprachen über uns. Irgendwann weinten wir beide. Doch er wollte dann nach Hause fahren und sagte mir noch, dass er zur Zeit keine tieferen Gefühle für mich hat. Ich habe den Eindruck, dass zur Zeit sehr viel Druck aufgrund seiner vielen Rollen auf ihn lastet.
Es gibt sicherlich viele Dinge, die wir ändern müssten, um weiterhin glücklich sein zu können. Dazu ist es aber nötig, dass wir intensiv darüber reden. Er sagt, dass er mir nicht mehr vertrauen kann und momentan nicht daran glaubt, dass ich das ändern werde. Er sagt auch, dass er keine Schmetterlinge mehr im Bauch hat. Die habe ich auch nicht mehr, doch mit der Zeit habe ich ein Gefühl gewonnen, das mir viel wichtiger und besser ist.
Was kann ich tun, wie kann ich ihm noch mehr zeigen, dass ich wirklich mit ihm zusammensein möchte?
Auf meine Briefe kam kaum Reaktion. Er sagte mit nur, dass er meine Gefühle im Moment nicht erwidern kann.
Immer höre ich “im Moment”, “zur Zeit”, “momentan”. Ich kann damit nichts anfangen, weil ich nicht nachvollziehen kann, dass sich das von heute auf morgen so drastisch ändern kann. Was kann ich tun? Ich würde gerne intensiver mit ihm reden, doch er ist wie immer sehr verschlossen.
Liebe Beatrice, ich würde mich freuen, wenn du mir bald antworten würdest, da ich momentan ziemlich am Boden bin. DANKE!
Heiner (36)
Lieber Heiner,
das klingt alles gar nicht gut. Ich habe den Eindruck, du suchst alle möglichen Gründe, warum dein Freund momentan nicht so viel fühlen kann (die Doppelbelastung, seine Eltern, die dich ablehnen, seine angebliche Depression, Zusammenziehen oder nicht usw.), weil du nicht glauben möchtest, dass seine Gefühle für dich tatsächlich zurückgegangen sind. Du scheinst zu glauben, es müssten sich nur einige Dinge ändern und dann wäre wieder alles gut zwischen euch. Nun, ich befürchte, dem ist nicht so. Ich fürchte, du musst hinnehmen, dass du nichts tun kannst, um seine Liebe wieder erstarken zu lassen.
Manchmal gehen Liebesgefühle einfach zurück, das muss oft gar nicht so sehr an äußeren Faktoren liegen…
Immerhin sagt er “momentan”, es besteht also noch Hoffnung, dass seine Gefühle wieder stärker werden. Doch dies kann sich nur in seinem Innern und von allein vollziehen – du kannst da nichts dran drehen.
Du fragst:
“Was kann ich tun, wie kann ich ihm noch mehr zeigen, dass ich wirklich mit ihm zusammensein möchte?” und merkst an:
“Ich würde gerne intensiver mit ihm reden, doch er ist wie immer sehr verschlossen.”
Er weiß bereits zur Genüge, dass du mit ihm zusammensein möchtest. Du kannst und DARFST nicht mehr tun!! Er will auch nicht “intensiver reden”. Wenn dein Freund sagt, dass er deine Gefühle im Moment nicht erwidern kann und Abstand braucht, bleibt dir nichts anderes übrig, als das voll und ganz zu akzeptieren und ihm wirklich den Abstand zu geben. Alles andere würde ihn nur unter Druck setzen und noch weiter von dir wegtreiben.
Wie allen Leuten in deiner Lage kann ich nur raten: Zieh dich zurück, lenke dich ab, kümmere dich um dich selbst und um Freunde, lerne neue Leute kennen, verändere dich.
Ich weiß, das ist schwer, denn wir alle tendieren dazu, etwas mit aller Macht festhalten zu wollen, das uns entgleitet. Aber in diesem Fall funktioniert das nicht.
Liebe Grüße
Beatrice Poschenrieder