He Beatrice,
ich glaube, ich werde langsam verrückt, weil ich jetzt schon aus lauter Verzweiflung an Dich schreibe. Also ich bin schwul und frage mich, warum ich immer wieder auf Jungs reinfalle, die mich sowohl persönlich, finanziell und seelisch ausnutzen. Momemtan bin ich derart am Ende, dass ich mir wünsche, nicht mehr am Leben zu sein. Bis jetzt konnte ich mich noch einigermaßen am Leben erhalten, aber ich weine sehr viel, fühle mich einsam und habe jetzt durch diese Enttäuschungen eine richtige Kontaktsperre in mir drin. Warum bin immer ich derjenige, der in der Liebe alles gibt und ständig verlassen wird? Ich weiß es nicht und ständig stelle ich mir die Frage, was mache ich nur falsch. Ich habe unbändige Angst alleine zu bleiben und bin zur Zeit richtig richtig unglücklich. Bin ich denn der einzige, dem es im Moment so geht?
Christopher (27)
Lieber Christopher!
Ich glaube, es gibt einige Leute, denen es so geht. Aber in deinem Fall möchte ich dir sagen: Zum Ausnutzen gehören immer zwei: einer, der ausnutzt, und einer, der sich ausnutzen lässt. Und wie kommt es dazu, dass du dich ausnutzen lässt? Weil du dich von der Liebe und Zuneigung anderer abhängig machst. Ich hatte es schon vermutet, bevor du es selbst ausgesprochen hast: Du hast Angst vor dem Alleinbleiben und sicher auch Alleinsein. Aber wenn du die Fähigkeit besäßest, mit dir selbst klar zu kommen und nicht unbedingt jemanden zu brauchen, so könntest du Partner, die dich schlecht behandeln oder eben ausnutzen wollen, einfach zum Teufel jagen. Ich schätze, statt dessen tust du das Gegenteil: Um ihre Liebe und Anerkennung zu gewinnen, wirfst du dich richtig ins Zeug, betüddelst die Typen, tust viel für sie, bist großzügig etc.. Das ist ja der Grund, warum sie dich überhaupt ausnutzen können. Was ich sagen will: Du brauchst dir niemandes Zuneigung zu “erkaufen” bzw. “erarbeiten”. Klar muss man auch was tun, um eine Beziehung aufzubauen und zu halten, aber in erster Linie muss dich jemand lieben für die Person, die du bist, nicht für das, was du gibst und für ihn tust. Und entweder er gibt genausoviel, wie er nimmt, oder eben nicht – und dann ist er nicht der richtige Partner.
Ich möchte dir raten: Bevor du dich in die nächste unglückliche Liebe wirfst, befasse dich mit dir selbst. Wie kommt es, dass du dich von anderen Menschen so abhängig machst? Fühlst du dich denn so leer ohne Beziehung? Findest du keinen Halt in dir selbst? Wenn ja, musst du unbedingt daran arbeiten (am besten mit Hilfe einer Therapie*), um jemandem ein gleichwertiger ebenbürtiger Partner werden zu können. Ich habe das Gefühl, momentan suchst du eher einen “Retter” und “Erlöser” aus deiner Einsamkeit und Liebesbedürftigkeit als einen echten Partner. Und die Männer, die mit dir zu tun haben, spüren das. Sie betrachen dich nicht als ebenbürtig. Dein Verlangen nach Zuneigung/ Zuwendung erdrückt sie mit der Zeit, oder sie fangen an, die Achtung vor dir zu verlieren. Hast du denn selbst genügend Achtung vor dir? Wahrscheinlich nicht, sonst würdest du es auf keinen Fall zulassen, so behandelt zu werden.
Also tu was dagegen, statt über die böse Welt zu lamentieren. Denn du weißt so gut wie ich, dass es auch gute Männer und gute Beziehungen gibt. Nur: man muss dafür reif sein. Und man muss im tiefsten Innern davon überzeugt sein, sie zu verdienen.
* Eine Therapie wäre schon allein deshalb eine gute Idee, weil ich den Verdacht habe, dass du die Neigung zu Depressionen hast und bereits in eine hineinkommst (u.a. wegen “dass ich mir wünsche, nicht mehr am Leben zu sein”). Kann das sein? In dem Fall würde wahrscheinlich sogar die Krankenkasse zahlen. Hab keine Angst davor! Es tut sehr gut, jemanden zu haben, dem man seine Probleme und Ängste anvertrauen darf.
Herzlichst
Beatrice Poschenrieder