Vorspiel ist doch Quatsch! Aber ich habe keine Lust mehr auf meinem Freund

Frau braucht kein Vorspiel, Zärtlichkeit und Petting ist Quatsch

Hallo Beatrice,
ich habe viele deiner Antworten auf Anfragen, was das Vorspiel betrifft, gelesen. Meine Meinung dazu ist: Ich teile nicht die Auffassung vieler hier, dass Frauen nicht so schnell auf Touren kommen könnten wie ein Mann. Das ist Quatsch. Die meisten vergessen zu erwähnen, dass masturbierende Frauen genauso schnell oder langsam kommen wie Männer. Der Ausdruck „Vorspiel“ hat meiner Meinung nach bei Sexualität nichts zu suchen, dieser Ausdruck wurde von Menschen erfunden, die Bücher über Sex schreiben. Vorspiel soll das sein, was der Mann tun muss, damit die Frau feucht genug zum Geschlechtsverkehr ist. Ich finde nichts Aufgeschlossenes an einem Vorspielkonzept, welches unterstellt, dass Frauen irgendwie ein bischen behindert seien und aufgewärmt werden müssten, bevor man sie sexuell gebrauchen könne.

Zärtlichkeit als reines Aufwärmprogramm vor dem Geschlechtsverkehr zu betrachten ist wirklich unsinnig. Sie hat ihren Wert in sich und ist nicht nur eine Maßnahme für etwas, das danach kommen MUSS!
Zum Glück teilen mein Freund und ich diese Auffassung.
Ich bin nun seit 2 Jahren mit meinem Freund zusammen und lebe seit 1 1/2 Jahren mit ihm zusammen. Ich mache derzeit mein Fernabitur und genieße es wieder mehr Stabilität in mein Leben zu bekommen. Ich habe jahrelang unter starken Depressionen gelitten und auch viele Kliniken hinter mir, wo die Diagnose „Borderline“ hieß. Ich hatte einen Mann nach dem anderen. Nun bin ich in einer Beziehung, die einfach wunderschön ist; ich liebe diesen Mann über alles. Ich habe so viel Harmonie in meinem ganzen Leben noch nicht erlebt. Leider fehlt mir aber der Sex. Obwohl ich meinen Freund sehr attraktiv finde und obwohl ich mental die ganze Zeit Sex mit ihm möchte, werde ich oft aggressiv, wenn er mich anfasst. Ich hasse es dann oft eine Frau zu sein und empfinde meine Vagina als Wunde.
Er bringt sehr viel Verständnis für mich auf und drängt mich kein bisschen.
Wir reden sehr offen über Sex, seit wir uns kennen, und besprechen ganz klar unsere Gefühle. Er weiß, dass ich oft an Sex mit anderen Männern denke und auch, dass ich mein körperliches, sexuelles Interesse an einem Mann verliere, sobald ich mit ihm Sex hatte. Mit meinem Freund habe ich meist nur im Urlaub Sex oder an verbotenen Orten. Ich leide aber sehr unter diesem seltenen Sex, da ich nicht nur die Lust meines Freundes spüre, sondern auch meine eigene auf ihn. Ich liege neben ihm, denke an Sex mit ihm, fange an ihn leidenschaftlich zu küssen, will wirklich Sex mit ihm haben, aber dann auf einmal… ist alles weg. Warum? Ich leide so sehr darunter, weil ich ihm so gerne nahe wäre und ihm so gerne all meine Liebe auch körperlich zeigen möchte. Wir versuchen dieses Problem zu überbrücken, indem wir uns unsere Phantasien erzählen und uns jeweils vor dem anderen befriedigen. Allerdings reicht mir das einfach nicht mehr.
Ich muss noch erwähnen, dass mein Freund meinen Körper in und auswendig kennt und mich demnach unglaublich schnell befriedigen kann. Hieran kann es also auch nicht liegen.
Kannst du mir sagen, was mit mir los ist??
Ich würde mich über eine Antwort sehr freuen…
Marianne (20)

Liebe Marianne,
zu deinem Komment wegen dem Vorspiel:
„Zärtlichkeit als reines Aufwärmprogramm vor dem Geschlechtsverkehr zu betrachten, ist wirklich unsinnig. Sie hat ihren Wert in sich und ist nicht nur eine Maßnahme für etwas das danach kommen MUSS!“
Da gebe ich dir Recht, aber ich persönlich (und auch die meisten Sex-Experten) behaupten auch wirklich nicht, dass Zärtlichkeit nur ein reines Aufwärmprogramm vor dem Geschlechtsverkehr ist. Andersrum wird ein Schuh draus: Zärtlichkeit kann auch für sich stehen (ohne Sex), aber ohne sie ist Sex meist nix Dolles.

Nun schriebst du weiter:
„Der Ausdruck Vorspiel hat meiner Meinung nach bei Sexualität nichts zu suchen, dieser Ausdruck wurde von Menschen erfunden, die Bücher über Sex schreiben.“
Das ist deine Meinung, die Meinung einer einzelnen Frau, bzw. eines 20jährigen Mädchens, was in vielem ohnehin anders tickt als andere Frauen. Dem stehen die Erfahrungen von zigtausend anderen Frauen gegenüber, die vielen Frauen, die mir schreiben und sprechen oder von anderen Sex-Experten interviewt werden.
Ich habe zum Beispiel für meine diversen Sexratgeber Hunderte von „normalen“ Frauen interviewt, also nicht Frauen, die sich wegen eines Problems an mich wenden, sondern eine Art Zufallsauswahl. Tenor dieser Interviews war (wie immer), dass Frauen eine wesentlich längere Aufwärmzeit für den Sex und den Orgasmus brauchen als Männer. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber das sind eben wirklich Ausnahmen, z.B. wenn eine Frau immer nur “Kurzgeschichten” hat; in einer Liebesbeziehung ist das dann was anderes. Wie sich das genau verhält, erkläre ich in meiner Videoreihe über weibliche Erregbarkeit, besonders in Teil 2 (siehe unten!).
Also sei so lieb und erzähl mir bitte nicht, dass ich und andere Buchautoren Quatsch verbreiten. Das wäre grade so, wie wenn jemand eine seltene Hautkrankheit hat und dann einem Hautarzt erzählen will, dass er all seine Patienten falsch behandelt. Sorry!
Man kann das auch überhaupt nicht mit Masturbation vergleichen. Wenn wir mit einem Partner so Sex hätten, wie wir masturbieren, oh je. Ratzfatz abgehandelt in ein paar Minuten? Auch die meisten Männer halten das nicht so. Gottseidank. Und auch für die meisten Männer ist Sex viel schöner und intensiver mit Vorspiel (oder, falls dir dieser Ausdruck missbehagt, mit zärtlicher oder leidenschaftlicher oder phantasievoller oder spielerischer Einstimmung).
Vielleicht hast du etwas beim Zweiersex noch nicht ganz erfasst. Sex zwischen zwei Menschen – wenn beide an gutem Sex interessiert sind – ist nicht reines Befriedigen und möglichst schnell zum Orgasmus zu kommen. Es ist ein Austausch von allem Möglichem, von Zärtlichkeit, von Gefühlen, von Innigkeit, von Zweisamkeit, von Aufeinander-Eingehen, vom gegenseitigen Willen, einander Lust und Freude zu schenken, und vor allem kommt man sich dabei sehr nah – körperlich wie auch seelisch.
Und was dazukommt:
Frauen brauchen mehr Vorspiel als Männer, weil sie einen Mann in sich hineinlassen. Das heißt, sie müssen sich öffnen und weich werden. Und das werden sehr viele Frauen nur bei einem Mann, der durch seine Zärtlichkeit und Zuwendung zeigt, dass es okay ist, wenn die Frau ihn in sich hineinlässt. Denn schließlich kann einer Frau, wenn sie sich sexuell dem Falschen öffnet, viel Ungutes passieren: sie kann verletzt werden, Schmerzen erleiden, sie kann schwanger werden, sie kann einen Intim-Infekt bekommen; und auch sexuell übertragbare Krankheiten kriegen Frauen viel leichter als Männer. Daher hat die Natur oder unser Unterbewusstsein oder die Biologie – wer auch immer – diese Vorbereitungszeit eingerichtet.

Dann noch etwas: Wenn Frauen so leicht auf Touren kommen (also bereit werden zum Verkehr), wie du sagst – wieso kommst du dann nicht auf Touren?
An dir selbst kannst du ja gut sehen, wie kompliziert Sexualität ist und dass sie sehr eng mit der Seele verknüpft ist.
Von dem her, was du beschreibst, mutmaße ich, dass du in deiner Kindheit nicht nur nachhaltige ungute Erfahrungen gemacht hast, sondern dass da auch etwas Sexuelles vorfiel, was jetzt in deiner Seele rumort und die körperliche Nähe ausgerechnet zu dem Menschen stört, dem du am liebsten nah sein möchtest.
Möglicherweise hast du sogar einen Missbrauch erlebt. Einige Elemente in deinem Brief weisen stark darauf hin (sie begegnen mir immer wieder bei missbrauchten Mädchen).
Auf jeden Fall kann ich das nicht mit dir herausarbeiten, sondern es wäre gut, wenn du eine einfühlsame Theraputin findest, die sich sowohl mit Borderline als auch mit seuxellen Störungen auskennt, und dass du mit ihr zumindest ein Probegespräch machst.
Versuch´s z.B. über den Psychotherapie-Informations-Dienst: Dieser Service des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen hilft bei der Suche nach dem/der richtigen Therapeuten/in und der geeigneten Therapieform.
Beratungstelefon: (0228) 74 66 99
Oder Suche über: www.psychotherapiesuche.de
Liebe Grüße und alles Gute
Beatrice Poschenrieder

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