Mein Freund ist HIV-positiv, aber tut, als ob nichts wäre

Er sagte mir einfach so, dass er HIV-positiv ist und dass er es sich beim Fremdgehen geholt hat – so als ob beides ganz normal wäre!

Er ist HIV-positiv, aber tut, als ob nichts HIV-positiv, aber tut, als ob nichts HIV-positiv, aber tut, als wäre nichts

Liebe Beatrice!
Ich weiß im Moment nicht, wo mir der Kopf steht. Mein Freund, mit dem ich seit über 4 Jahren zusammen bin, hat mir vor einigen Wochen gesagt, dass er HIV-positiv ist. Zuerst dachte ich, das wäre ein schlechter Scherz – er hat manchmal einen wirklich rabenschwarzen Humor. Aber er erklärte mir auch gleich noch, dass er eine kurze Affäre mit dem Sohn seines Chefs hatte, bei dem er sich wahrscheinlich angesteckt hat. Einfach so, als ob das normal wäre, dass man fremdgeht und sich dabei Aids einfängt.
Ich wusste und weiß noch immer nicht, was ich tun soll. Den Seitensprung kann ich ihm verzeihen, aber ich weiß nicht, wie ich mit der ganzen Situation umgehen soll. Ich liebe ihn, und der Gedanke, dass er eines Tages einfach nicht mehr da ist, geht mir nicht mehr aus dem Kopf.
Er nimmt das alles relativ gelassen, was ich nicht wirklich verstehen kann. Er meint immer, dass er gespannt ist, was wohl wirklich „danach“ kommt, und dass er ja immer bei mir sein wird.
Seine Schwester, die außer uns noch davon weiß, will uns immer zu psychologischer Hilfe überreden, aber mein Freund weigert sich, und ich bin auch nicht wirklich begeistert, da ich schon sehr schlechte Erfahrungen mit Psychiatern und Selbsthilfegruppen gemacht habe.

Seitdem lebe ich jeden Tag so, als wäre es unser letzter, und das verursacht immer wieder Streit, weil mein Freund nicht immer indirekt an die Sache erinnert werden will.
Ich weiß einfach nicht, wie ich mit der ganzen Situation umgehen soll…
Nathalie (27)

Liebe Nathalie,
leider kann ich dir auch nicht wirklich helfen, weil ich in dieser Hinsicht überhaupt keine Erfahrung habe. Ich weiß allerdings, dass fachlicher Rat fast allen hilft – bzw. es hilft schon viel, wenn man mit jemand sprechen kann, der viel mit Aidsbetroffenen und deren Angehörigen zu tun hat. (Dazu unten mehr.)

Falls du trotzdem meinen Senf zu deiner Geschichte haben willst:
Erstmal finde ich sie ziemlich erschütternd und bewundere dich für deinen Mut, deine Kraft, deine Toleranz (in Sachen Fremdgehen). Dein Freund scheint die Ansteckung und die damit verbundene Bedrohung sehr gut verdrängen zu können, und ich weiß nicht, ob man da dran rühren sollte. Ich glaub nicht, dass man ihn drängen sollte, sich der Situation zu stellen, denn so, wie er´s jetzt macht, scheint er am besten damit umgehen zu können. Das heißt: Ganz normal weiterleben. Warum auch nicht. Es kann zehn oder 20 Jahre dauern, bis sein AIDS ausbricht, wenn überhaupt, denn es gibt auch Leute, bei denen es nie ausbricht. Und zudem gibt es heute schon Behandlungsmethoden, die ein Fortschreiten der Erkrankung hinauszögern oder auch stoppen.
Indem du lebst, als wäre es euer letzter Tag, führst du ihm jeden Tag vor Augen, dass er bald sterben wird, und das will er nicht vor Augen geführt bekommen. Das kann ich gut verstehen und bitte dich darum, es auch zu akzeptieren. Wenn du mit deinem Freund weiterhin eine harmonische Beziehung führen willst, solltest du dich bezüglich des Umgangs mit HIV eher nach ihm richten, denn schließlich hat ER es.
Ich weiß, dass es total lieb von dir gemeint ist, „eure verbleibende Zeit“ möglichst intensiv zu gestalten – aber: erstens verbleibt ihm wahrscheinlich mehr als du denkst, zweitens wird „eure verbleibende Zeit“ kürzer als dir lieb ist, falls du zu viel Hektik machst – weil er sich dann trennt.
Mein Rat: Zeige ihm ruhig täglich deine Liebe, aber bedränge ihn nicht und dräng ihn zu nichts.
Sag auch seiner Schwester, sie soll aufhören, ihn zu einer Beratung zu überreden. Das muss er selber wollen.
Für dich allerdings wäre es eine gute Sache, weil es dich quält und du viele offene Fragen hast.

Zum Psychiater musst du sicherlich nicht, und eine zwingende Notwendigkeit zu einer Selbsthilfegruppe besteht auch nicht, aber: Letztere kann durchaus sehr nützlich sein, zum Beispiel um zu erfahren, wie andere Paare damit umgehen und was die so erleben. Aber ein Psychiater ist für ganz andere Leiden da (meintest du einen „Psychotherapeuten“?).

Ich möchte dir raten, bei ein paar Aidsberatungsstellen anzurufen und einfach mal mit den Leuten zu reden. Das kostet ja nichts (außer eventuell etwas Telefongebühr) und mindestens eine/r davon wird dir garantiert hilfreiche Sachen sagen.
Hier noch zwei Buchtipps:
Positiv weiterleben: Seelische Selbsthilfe bei HIV-Infektion

Endlich mal was Positives 2: Interessant & informativ: Wissenswertes zu HIV & AIDS

Alles Gute
Beatrice Poschenrieder

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